DIE NIBELUNGENBRÜCKE IN WORMS
Forschungsprojet zur Verlängerung
der Nutzungsdauer eines Pionierbauwerks
durch intelligente Digitalisierung
Die B 42 quert bei Worms auf zwei separaten Brückenbauwerken den Rhein und verbindet die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen. In Fahrrichtung Hessen wird der Verkehr über die 2008 fertiggestellt neue Rheinquerung geführt. In Fahrtrichtung Rheinland-Pfalz über die historische Strombrücke.
Diese – auch als Nibelungenbrücke bezeichnet – ist Teil des Forschungsvorhabens „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ (SPP 100+).
Sie erhält nun einen Digitalen Zwilling. An ihr werden die Technik und Methodik dieses Forschungsprojektes noch bis 2025 erforscht und getestet. Der Landesbetrieb Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz setzt das Forschungsprojekt gemeinsam mit der Technischen Universität (TU) Dresden, der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sowie verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen und Ingenieurbüros um. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) unterstützt das Projekt.
Bestandsbauwerk – Statisches System
Errichtung auf Caissongründung der „Ernst-Ludwig-Brücke"
- Stützweiten: 101,7 - 114,2 - 104,2 m
Felder werden aus jeweils zwei Kragarmen gebildet, die in den Pfeiler eingespannt und über vorgespannte M-N-Gelenke miteinander verbunden sind.
- zwängungsfrei, keine ungleiche Durchbiegung
Das Projekt SPP 100+
Der Zustand eines Bauwerkes ist mit fortschreitendem Lebensalter von einer immer schneller zunehmenden Degradation geprägt. Frühzeitige, vorbeugende Maßnahmen gegen Alterung sind Grundvoraussetzung, um die Nutzbarkeit komplexer Bauwerke zu verlängern. Ziel muss die prädikative Instandhaltung sein. Dafür bedarf es grundlegender Forschung zu den Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung verschiedenster Daten z. B. zu Geometrie, Material, Beanspruchung und Alterung.
Mit SPP 100+ „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ sollen Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung bauwerksbezogener Daten als Grundlage für eine vorausschauende (prädiktive) Bauwerkserhaltung erforscht werden. Die Digitalisierung, insbesondere das Konzept des Digitalen Zwillings, erlangt in diesem Kontext eine völlig neue Bedeutung. Sie ermöglicht die Kombination und Echtzeitauswertung sämtlicher für den Betrieb und die Instandhaltung erforderlichen Daten und deren Implementierung in Zustands und Prognosemodelle.
Der Digitale Zwilling
Das Konzept des Digitalen Zwillings ist noch Gegenstand der Forschung.
Ziel eines Digitalen Zwillings ist die Bereitstellung wichtiger Informationen für ein nachhaltiges Lebenszyklusmanagement, Maßnahmenempfehlungen für Bauwerksbetreibende und somit eine Kosteneinsparung und die Erbprobung innovativer Ansätze.
Das Forschungsprojekt SPP 100+ soll dazu beitragen, den Digitalen Zwilling weiterzuentwickeln.
Nach bisherigem Forschungsstand kann man einen Digitalen Zwilling als eine virtuelle dynamische Repräsentation des realen Systems und seiner Wirkzusammenhänge bezeichnen. Es unterstützt über einen (teil-) automatisierten bidirektionalen Daten- und Informationsaustausch optimierte Entscheidungsgrundlagen für ein nachhaltiges Management im Lebenszyklus der Infrastruktur.
Neben der Darstellung des aktuellen Zustands des realen Bauwerks erlaubt der Digitale Zwilling einen Zugriff auf große Datenmengen, da hier verschiedene Daten wie des BIM-Modells (3D-Objektmodell, BIM Fachmodell „Schäden“ etc.), des statischen Modells (am Objekt kalibrierte nichtlineare FE-Berechnung) sowie des Bauwerkmonitorings (mit dem Schwerpunkt auf Überwachung von Querkraft- und Korrosionsmessgrößen) zusammengeführt wurden. Mit Hilfe des Einsatzes von Big Data/Smart Data-Anwendungen sowie Verfahren der künstlichen Intelligenz können diese Daten analysiert und bewertet werden. Virtuelle Experimente sind möglich.
Die Nibelungenbrücke Worms
Pionierwerk des Spannbetonbaus
Die Nibelungenbrücke Worms wurde zwischen 1951 und 1953 als dreifeldrige Spannbetonbrücke hergestellt. Sie ist baukulturell von herausragender Bedeutung, da sie gleichzeitig als erste Großbrücke aus vorgespanntem Ortbeton im Freivorbau und als erste Rheinquerung in Spannbetonbauweise gilt.
Das Bauwerk ist sowohl nach dem hessischen als auch nach dem rheinland-pfälzischen Denkmalrecht als Kulturdenkmal erfasst. Darüber hinaus wurde die „Alte Nibelungenbrücke“ am 1. September 2022 von der Bundesingenieurkammer mit dem Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet.
Besonderheiten der Nibelungenbrücke:
- Erstellt im freien Vorbau
- Stützweiten von 101,6 m – 114,2 m – 104,2 m
- Im Endzustand wurden die biegesteif in die Pfeiler eingespannten Kragträger in der Feldmitte über Momentengelenke gekoppelt
- Bauwerksende linksrheinisch: kleines Endfeld als Gegengewicht für den Überbau
- Bauwerksende rechtsrheinisch: mangels Ballastierungsmöglichkeiten wurde der Überbau durch Zugglieder und Zugpfähle in der Lage gesichert
- Überbau: 2 Hohlkästen, die über die Fahrbahnplatte und Pfeilerquerung miteinander verbunden sind. So ist er sowohl in Längs- als auch in Quer- sowie Vertikalrichtung vorgespannt.
Historie der Nibelungenbrücke
1951-1953
Bau der Nibelungenbrücke
1974
Erste große Instandsetzung
Bis 1974 besaß die Nibelungenbrücke Worms keine wirksame Abdichtung, so dass Chloride über viele Jahre nicht nur in den Fahrbahnplattenbeton, sondern auch über unverschlossene, bauzeitlich genutzte Kühlleitungen, in die Stege der Hohlkästen vordringen konnten.
2010ff.
Nachrechnung, zweite große Instandsetzung
u.a. Verstärkung der Biegefähigkeit durch den Einbau zusätzlicher externer Spannglieder
Konzept zur Ertüchtigung der stark defizitären Schubtragfähigkeit
Dieses sah entsprechend der modernen Fachwerktheorie den nachträglichen Einbau von vertikalen Zugstäben in zahlreichen Bohrlöchern vor.
Risikobewertung für Eingriff ins Tragwerk
Ergebnis: Auf den nachträglichen Einbau von Schubbewährungen wurde verzichtet. Zur Kompensation wurden regelmäßige Sonderprüfungen durchgeführt und eine Sperrung für den genehmigungspflichtigen Schwerverkehr angeordnet. Zusätzlich wurde das Ankündigungsverhalten anhand eines modifizierten Ingenieurmodells bei einem postulierten Schubbruch untersucht. Ein schlagartiges Bauwerksversagen konnte damit ausgeschlossen werden. Bislang zeigen sich keine signifikanten Rissbilder.
Einstufung als nicht mehr erhaltungswürdig
Die infolge der defizitären Schubtragfähigkeit erforderlichen Nutzungseinschränkungen sind bei einer strategisch wichtigen Rheinbrücke langfristig nicht hinnehmbar. Mit Abschluss der Instandsetzungsmaßnahme in den Jahren ab 2010 ff. war vorgesehen, dass die Brücke der „kontrollierten Alterung“ zugeführt wird. Die Restnutzungsdauer wurde unter Würdigung aller technisch-wirtschaftlichen Aspekte auf 15 bis 20 Jahre beziffert.
2019
Planung für Ersatzneubau
Öffentliche Ankündigung des Ersatzneubaus in einer Pressekonferenz des LBM Worms am 3. April 2019.
Ab 2028 soll ein Ersatzneubau erstellt werden.
2021
Revision der bisherigen Erhaltungsstrategie
Die Erhaltungsstrategie wurde im Anschluss an das Öffentliche Fachgespräch zum Erhalt der Nibelungenbrücke am 14. Sept. 2021 einer Revision unterzogen.
Ziel:
Signifikante Verlängerung der Nutzungsdauer auf Basis neuster wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Planungen für den Ersatzneubau werden verworfen.
2022 – 2025
Nibelungenbrücke wird Forschungsobjekt für SPP 100+
Revision der Erhaltungsstrategie: Verlängerung der Nutzungsdauer
Mit Blick auf den Status der Nibelungenbrücke Worms als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ wurde die bisherige Erhaltungsstrategie im Jahr 2022 einer Revision unterzogen. Nicht der aktuelle Stand der Technik soll nunmehr als Beurteilungsmaßstab für den Erhalt der Nibelungenbrücke Worms herangezogen werden, sondern der aktuelle Stand der Wissenschaft; das heißt: Auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die noch nicht im Regelwerk abgebildet sind, soll die Restnutzungsdauer neu bewertet werden. Ziel ist eine signifikante Verlängerung der Nutzungsdauer.
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat unter Würdigung der besonderen Bedeutung der Nibelungenbrücke entschieden, die bisherige Erhaltungsstrategie für das Bauwerk, damit ist im vorliegenden Fall der Ersatzneubau ab 2028 gemeint, einer Revision zu unterziehen. Ziel ist es, die Nutzungsdauer der Nibelungenbrücke zu maximieren.
In Abstimmung mit dem BMDV wurde festgestellt, dass sich die Nibelungenbrücke Worms als ein sehr geeignetes Objekt für das Forschungsvorhaben „Hundert plus – Verlängerung der Lebensdauer komplexer Baustrukturen durch intelligente Digitalisierung“ (SPP 100+) anbietet.
Mit SPP 100+ sollen Methoden der Erfassung, Verknüpfung und Bewertung bauwerksbezogener Daten als Grundlage für eine vorausschauende Bauwerkserhaltung erforscht werden. Die Erkenntnisse aus SPP 100+ werden in den Entscheidungsprozess über die Lebensdauer der Nibelungenbrücke einfließen. Aus den erzeugten Daten einer laufenden, erneuten statischen Nachrechnung, sowie eines in Vorbereitung befindlichen umfangreichen Monitorings des Bauwerks sollen zuverlässige Prognosen für die Lebensdauer der Brücke erstellt werden.
Der Digitale Zwilling der Nibelungenbrücke
Während des Deutschen Straßen- und Verkehrskongresses vom 23. – 25. Oktober in Bonn wurde der Stand des Forschungsprojektes anhand eines Modells der Vorlandbrücke dargestellt.
Mit Hilfe des Digitalen Zwillings der Nibelungenbrücke wird der LBM einen weiteren und zugleich genaueren Blick auf das Bauwerk gegenüber der üblichen Bauwerksprüfung erhalten. Ein wesentliches Projektziel ist es, die Zukunftsfähigkeit der Tragfähigkeit der Nibelungenbrücke Worms nach dem Stand der Wissenschaft neu zu bewerten.
Die einzelnen Teilprojekte des Forschungsvorhabens werden von verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen bearbeitet und von Prof. Dr.-Ing. Steffen Marx vom Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden koordiniert. Innerhalb dieses Forschungsvorhabens dient die Nibelungenbrücke Worms als Validierungsobjekt, was bedeutet, dass an diesem Bauwerk die Technologie und Methodik des Digitalen Zwillings im Zeitraum 2022 bis 2025 erforscht und getestet werden.
Bis heute wurden folgende Teilprojekte auf den Weg gebracht bzw. sind in Vorbereitung:
- Erneute Nachrechnung mit neuesten wissenschaftlichen Methoden
- Digitalisierung des Bauwerkes, seiner Bausubstanz und aller bauwerksspezifischen Kenngrößen (Geometrie, Material, Schäden)
- Erstellung eines Digitalen Zwillings aus den zuvor ermittelten digitalen Datensätzen
- Anreicherung des Digitalen Zwilling mit Daten aus dem Brücken-Monitoring
- automatisierte Beobachtung von zustandskritischen Indikatoren (z. B. Risse)
Durch das Forschungsvorhaben SPP 100+, den digitalen Zwilling, die Ergebnisse der erneuten, noch nicht abgeschlossenen Nachrechnung und das laufende Monitoring ergeben sich ein neuer Zeitplan für die Lebensdauer der Nibelungenbrücke. Ein Enddatum für die Lebensdauer kann in diesem laufenden Untersuchungsprozess noch nicht genannt werden. Der Ersatzneubau wird 2028 nicht beginnen.